Die evangelische Kirche in Nieder-Saulheim

1 Ortsgeschichte und Reformation

Die Geschichte unserer Kirchengemeinde kann man nicht erzählen, ohne die historischen Hintergründe unseres Ortes zu beleuchten. Keltische und römische Fundstücke deuten darauf hin, dass die Region um Saulheim schon sehr lange besiedelt ist. Der erste schriftliche Nachweis liegt mit einer Urkunde aus dem Jahr 762 vor, in der die Siedlung als Erbschaft an ein Kloster in der Nähe von Fulda abgetreten wurde. Im 10. Jhd. wurde das spätere Ober- Saulheim vom der Ursprungsgemeinde getrennt. Während Ober-Saulheim später unter der Herrschaft der Wild- und Rheingrafenschaft stand, etablierte sich in Nieder-Saulheim eine Ganerbschaft aus mehreren Adelsfamilien, die die Führung der Siedlung unter sich ausmachten. Vorteil dieser Herrschaftsform war die wirtschaftliche und militärische Aufteilung der Aufgaben und Lasten, die eine Familie allein nicht hätte leisten können. Immer wieder versuchten die Landesfürsten, die Ganerbschaft zu durchdringen und damit unmittelbaren Zugriff auf die Ortschaft zu bekommen. Das hatte besonders nach der Reformation und dem Augsburger Religionsfrieden 1555 unmittelbar Auswirkung auf die Glaubenszugehörigkeit der Saulheimer. Nach der Augsburger Regel cuius regio eius religio (wessen Land, dessen Religion) wechselte die Konfession der Saulheimer 13 mal, bis 1695 endlich vereinbart wurde, dass beide Konfessionen (lutherisch und katholisch) gemeinsam in Saulheim wirken durften – aus der Kirche wurde eine Simultankirche. Die Reformierten dagegen hatten unter den Ganerben keine Fürsprecher, so dass sie die Kirche nicht gemeinsam mit den anderen Konfessionen nutzen konnten. Ihre Güter wurden enteignet, jedoch durften sie weiter ihre Religion in Saulheim ausüben. Sie erwarben 1717 in der Pfarrgasse eine Zehntscheune, die sie zum Gottesdienstraum umgestalteten.

Dass es heute 2 evangelische Kirchengemeinden in Saulheim gibt, liegt also in der historischen Trennung von Ober-und Nieder-Saulheim begründet. Während Ober- und Nieder-Saulheim mit der Gebietsreform 1967 als Ortsgemeinde zusammengelegt wurde, blieben kirchlich die eigenständigen Kirchengemeinden Ober- und Nieder-Saulheim bis heute bestehen.

2 Die alte Kirche und der Neubau

Erstmals wurde 1219 der Bau einer Kirche in Nieder-Saulheim erwähnt. Dabei dürfte es sich noch um eine Holzkirche gehandelt haben, eine zu der Zeit in Rheinhessen übliche Bauweise. Bereits im kommenden Jahrhundert – 1324 oder 1344, je nach Quelle – wurde der Grundstein für eine Steinkirche gelegt, die die folgenden ca. 550 Jahre Bestand haben sollte. Leider existieren von dieser Kirche keine Zeichnungen, lediglich auf einer Karte aus dem Jahr 1706 ist der Turm der Kirche zu sehen, der dem heutigen Kirchturm durchaus ähnlich ist. Von einer festen, mit Schießscharten versehenen Friedhofsmauer umgeben, war diese Wehrkirche bei kämpferischen Auseinander­setzungen der letzte Schutz der Bevölkerung vor den herannahenden Feinden. Im Inneren gab es sieben Altäre, gestiftet von den Adelsfamilien des Ortes. Damit verbunden war auch ein Grundstück, die dem am Altar Dienst tuenden Geistlichen ein Auskommen sichern musste.

Bei der Niederlegung der Kirche blieben nur wenige Dinge erhalten: 2 der Kirchenfenster kann man heute noch im Landesmuseum für Kunst und historische Sammlungen in Darmstadt sehen, die Hülle der Stumm-Orgel ist in Sprendlingen zu bewundern und einige der Abendmahlsgeräte tun auch heute noch ihren Dienst in den beiden Kirchen Nieder-Saulheims.

1828 musste die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen werden, 2 Jahre später stürzte der Turm auf das Langhaus, Chor und Sakristei blieben noch bis 1848 stehen. Die Katholiken zogen in ein herrschaftliches Haus in der Heileckergasse, die evangelische Gemeinde feierte ihren Gottesdienst in der ehemaligen reformierten Kirche in der Pfarrgasse.

Bis zum Beginn des Neubaus sollten nochmals rund 35 Jahre ins Land gehen, da etliche Querelen und Finanzierungsvorbehalte den Bau immer wieder verzögerten. Dank des Einsatzes von Pfarrer Friedrich W. Werner aus Udenheim, der die Gemeinden von Ober- und Nieder-Saulheim mitbetreuen musste, kam wieder Bewegung in die Planungen. Auf die Grundsteinlegung am 3. Juni 1885 folgte schließlich die Einweihung der neuen Kirche am 04. Oktober 1886. Der Bau wurde mit 87000 Mark teurer als die ursprünglich veranschlagten 75000 Mark, aber auch dieser Fehlbetrag konnte aufgebracht werden. Dennoch – für eine neue Orgel hat es nicht mehr gereicht; die Orgel aus kleinen reformierten Kirche wurde in das neue Gotteshaus umgezogen.

3 Geschichten zur Ausstattung der Kirche

Im Laufe der letzten 130 Jahre hat sich vieles im Inneren der Kirche erhalten. Anderes hielt den Moden der Zeit nicht stand und wurde neu gestaltet.

Wer sich Bilder zum 50jährigen Kirchenjubiläum anschaut, kann feststellen, dass das Kircheninnere mit sehr viel mehr Ornamenten ausgestattet war. Mit der kürzlich erfolgten Innenrenovierung sind wenige Teile der ursprünglichen Bemalung freigelegt worden.

Auch Kanzel und Sakristei befinden sich nicht mehr am ursprünglichen Ort, sondern sind in den 1960er Jahren auf die linke Chorseite versetzt worden. Die Tür nach außen im Chorbereich war also einmal der Zugang direkt in die Sakristei.

Ebenfalls in dieser Zeit wurden die beiden Gedenktafeln an die Gefallenen der beiden Weltkriege versetzt. Sie standen einst im Chor und befinden sich nun im Eingangsportal der Kirche.

Und nicht zuletzt hat auch die Beleuchtung eine Neuerung erfahren. Die alten Glaskörper sind 1978 durch Keramiken ersetzt worden, gestaltet von Prof. Eberhard Linke.

Die Chorfenster zeigen Darstellungen aus dem alten und neuen Testament. In den Seitenschiffen sind die beiden Reformatoren Philipp Melanchthon, gespendet von der Stiftung Weyerhäuser, und Martin Luther abgebildet. Dieses Fenster wurde finanziert aus der „Stiftung der Frauen und Jungfrauen Saulheims“, ein 178 Mitglieder starker Verein, der sich eigens zur Ausstattung der Kirche gegründet hatte.

4 Die Glocken

Keine Kirche ohne Glocken. Dieter Stadler schreibt dazu im Festbuch zum 100jährigen Jubiläum der Kirche: Über die Benutzung der Kirchenglocken heißt es in unserer Kirchenordnung: Das Läuten der Kirchenglocken bei Kultushandlungen ist ein rein kultischer Akt. Die Kirchenglocken dienen kraft ihres öffentlichen Widmungszweckes zum kirchlichen Kultusgebrauch allein kirchlichen Kultuszwecken“ .

Am 10. Juli 1886, so aus dem Tagebuch von Johann Oehler II., läuteten drei Glocken zum ersten Mal im Glockenturm der Kirche. Sie wurden von Andreas Hamm in Frankental gegossen. Die größte, Martinsglocke, wog 1700 Pfund bei einem Durchmesser von 120 cm, die mittlere, Friedrichsglocke, noch 860 Pfund und 94 cm im Durchmesser. Die kleinste, Philippsglocke hatte bei 79 cm Durchmesser noch 504 Pfund Gewicht.

Eine vierte Glocke kam 1902 dazu und sollte als Vaterunser-Glocke dienen. Sie wurde bereits im Jahr 1917 wieder eingeschmolzen – der erste Weltkrieg forderte Tribut. Doch auch die beiden größten Glocken gingen 1940 während des 2. Weltkriegs diesen Weg. Lediglich die kleinste, die Philippsglocke, überstand und läutet nun in Udenheim.

Bereits 1949 konnten 4 neue Glocken in Nieder-Saulheim begrüßt werden, die nun auf die Namen Glaube, Liebe, Hoffnung und Ewigkeit hören. Doch zuvor waren noch allerlei Hindernisse aus dem Weg zu räumen: die Beschaffung der notwendigen Metalle – Zinn und Kupfer – zur Herstellung der Bronze gestaltete sich sehr schwierig. Dazu kam es zu Lieferengpässen bei der Gießerei. Und zu allem Übel geriet der Finanzplan in Schieflage, da die Währungsreform große Teile des Kapitals verfallen ließ. Die katholische Gemeinde ließ zeitgleich ebenfalls Glocken für ihre Kirche gießen, worauf es zur Verständigung darüber kam, das Geläut beider Kirchen aufeinander abzustimmen. Die Glocken der evangelischen Kirche sind auf f‘-a‘-c‘‘-d‘‘ gestimmt, die der katholischen auf g‘-b‘-c‘‘. In der gesamten Landeskirche gibt es nur wenige Geläute mit diesem Stimmumfang – vielleicht hören Sie einmal genauer hin, wenn wieder alle Glocken zusammen läuten.

Quelle: Wo wir uns versammeln – Festbuch zum 100jährigen Kirchenbaujubiläum

Bilder

Zu Kapitel 1

Zu Kapitel 2

Pfarrer Friedrich Werner

 

Glasfenster der alten Kirche (heute Landesmuseum Darmstadt)

Grundriss und Geländeschnitt vor dem Bau der neuen Kirche

Zu Kapitel 3

Zu Kapitel 4

Die neuen Nachkriegsglocken