Pater Markert

Franz Markert S.V.D.: “Erlebtes und Erlauschtes”

Der folgende (gekürzte) Reisebericht des Pater Markert wurde seinem Buch “Erlebtes und Erlauschtes (auf einer Reise nach und in Europa) – Eine Reiseplauderei” (1926) entnommen. Er beschreibt den Besuch Pater Markerts in Saulheim nach 15 Jahren Abwesenheit.

In der Heimat

Ich war also auf dem Wege zur Heimat. Wißt ihr, was das für einen Menschen heißt, der eine lange Reihe von Jahren der Heimat fern gewesen ist? Wer es nicht selbst erfahren hat, wird die Gefühle nicht verstehen, die mich erfüllten, als es dem Abend zuging, der das Ende dieser Fahrt bringen sollte. Das Ende dieser Fahrt sollte die Heimat sein. Wer aber selbst schon einmal aus der Fremde der Heimat zugefahren ist, wird das Folgende zu würdigen wissen.

Vor fünfzehn Jahren hatte ich in einem kurzen Besuch das letztemal die Heimat und die Lieben dort gesehen. Man müßte kein menschliches Herz in der Brust haben, wenn man sich nicht der Stunde freuen wollte, in der man wieder den Fuß auf heimatlichen Boden setzen kann.

Von Leipzig über Frankfurt nach Mainz

Ich hatte mir in Leipzig eine Fahrkarte bis Mainz gelöst. Als ich diese beim Betreten des Bahnsteiges dem dort stehenden Schaffner und Zugführer vorzeigte, schauten diese sich gegenseitig fragend an und frugen mich: “Wo haben Sie denn die Fahrkarte nach Mainz her?” Ich: “Habe sie in Leipzig gelöst.” Neues Staunen auf ihren Gesichtern und Frage: “Ja, wissen denn die in Leipzig noch nicht, daß der Mainzer Bahnhof in den Händen der Franzosen ist?” Und dann kam die für mich wenig erfreuliche Auskunft: “Ne, damit lassen die Franzosen Sie nicht durch.” Ich dachte, ich probiere. Aufessen werden sie mich nicht. Wenn ich ein recht dummes Gesicht mache und meine Karte von Leipzig vorzeige, wird es schon gehen. Also in den Zug hinein.

Kurz vor der Abfahrt des Zuges kommt der Schaffner in meine Abteilung und sieht sich die Fahrkarten an. Da war ein Frauchen mit mehreren Kindern. Ihre Karte war nicht in Ordnung. Sie hatte eine Karte vierter Klasse. Der Schaffner machte sie darauf aufmerksam. Die Frau behauptete, sie habe eine Karte dritter Klasse verlangt, habe die Karte bezahlt und habe nicht weiter auf ihre Karte gesehen. Sie müsse aber diesen Zug benutzen, um noch nach Flonheim zu kommen. Als der Schaffner, der sonst sehr menschlich und freundlich war, diesen Namen hörte, meinte er: “So, nach Flonheim wollen Sie, kenne ich. Ich bin da aus der Nähe her, ich komme von Nieder-Saulheim.”

Das klang ja wie Musik in meinen Ohren. Nieder-Saulheim war ja mein Heimatort. Sogleich frug ich ihn: “So, von Nieder-Saulheim sind Sie, wer sind Sie denn?” Zuerst etwas erstaunt ob dieser Frage, gab er zur Antwort: “Mein Name ist Georg Dehof.” Nun ging es halt weiter: “So, Georg, mich kennst wohl nimmer, ich bin auch aus Nieder-Saulheim.” Er schaute mich prüfend an, konnte sich aber meiner nicht mehr erinnern, da er mich ja seit fast 25 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Als ich ihm sagte, “Du kennst doch sicher noch Markerts Franz,” da fiel eine Binde von seinen Augen. Natürlich kannte er mich noch. Damit hatte ich also den ersten Kontakt mit der Heimat hergestellt.

Von Mainz nach Saulheim

Nun trennten mich nur noch zwölf Meilen von der Heimat. Wäre kein Zug mehr an diesem Abend gegangen, ich weiß, ich wäre zu Fuß noch in derselben Nacht dieses letzte Stück Weges gegangen.

Ich suchte mir schließlich eine Abteilung im Zug, die mehr als überfüllt war, meistens von Arbeitern und Stenographistinnen, Ladenmädchen usw. Da merkte ich denn sofort, daß ich zwischen Landsleuten saß. Die rheinische Fröhlichkeit dieses jungen Volkes gepaart mit der Gesprächigkeit des Rheinhessen, stachen ab wie Tag und Nacht von dem zurückhaltenden, viel ruhigeren, verschlosseneren Wesen der Norddeutschen. Da hörte ich zum ersten Male wieder nach fünfzehn Jahren die ureigensten Laute der rheinhessisch-pfälzischen Mundart, in der ich ja selbst meine ersten Worte sprechen gelernt hatte. Ich musterte die Gesichter, ob denn gar keines sich dazwischen fände, das ich noch erkennen würde. Richtig, da saß ein Eisenbahner, den ich zu erkennen glaubte. Und doch zweifelte ich wieder. Beinahe 25 Jahre die Gesichter nicht mehr gesehen zu haben, und dies in einer Zeit, in der die Jugend halt herangewachsen ist, macht es oft schwer, ehemalige Bekannte sogleich wiederzuerkennen.

Wie das in solcher Stimmung geht: der Zug geht einem viel zu langsam. So auch mir. Endlich die vorletzte Station Nieder-Olm. Wenn ich früher da vorbei fuhr, fand ich gewöhnlich Onkel Peter an der Station im Dienst. Hundertmal habe ich als Junge das Fenster geöffnet und ihm zugerufen, denn “Peter-Onkel” war uns Kindern der liebste von allen Onkeln. Somit war es eigentlich ganz natürlich, daß ich auch diesmal nach ihm Ausschau hielt. Ich hätte ihn doch gerne überrascht mit einem Zuruf nach fünfundzwanzig Jahren. Aber das Glück war mir auch diesmal nicht hold. Kein bekanntes Gesicht an der Bahnstation zu sehen.

Doch mein Ausschauhalten hatte eine andere Wirkung. Ich hatte einige Zeit vorher bemerkt, daß einige der mitreisenden Eisenbahner sich über mich unterhielten, obwohl ich nicht genau verstehen konnte, was sie sagten. Als ich aber beim Einlaufen in den Bahnhof das Fenster öffnete, hörte ich den einen sagen: “Er ist’s, er schaut jetzt nach seinem Onkel aus.” Sobald ich sah, daß mein Ausschauen vergeblich war, drehte ich mich um, sah mir den Sprecher an und sagte: “Ich glaube, wir kennen uns noch, bist du nicht der Baumgärtners Anton.” “Aber natürlich, und du Markerts Franz. Hab ich’s doch gleich gesagt.” Jetzt kam es auch schon von der anderen Seite her: “Kennst du mich noch? Ich bin des Betze Louis.” Ja, das war der Louis, ein ehemaliger Klassengenosse in der Volksschule. Nun gab’s eine kleine Aufregung in der Abteilung. Händeschütteln, Fragen und Freude. Den anderen Mitreisenden wurde klar gemacht, daß dies ‘s Markerts Franz aus Amerika ist. denen aus Nachbardörfern, die den Namen nicht kennen mochten, wurde nachgeholfen: “Polizeidiener Markert sein Sohn.” Damit war allen geholfen. Man muß sich hierbei in die ganze Lebhaftigkeit des süddeutschen Charakters hineindenken, um einen Begriff zu bekommen, wie lebhaft dieser erste Willkomm nahe der Heimat von sich ging.

 

Endlich in Saulheim!

Endlich Station Nieder-Saulheim. Also die Heimatstation. Von den Angehörigen war niemand zu sehen, da ich unerwartet früh angekommen war. Doch das hatte nichts zu bedeuten. Einige der Eisenbahner packten mein Gepäck, andere liefen voraus und riefen auf der Straße zum Elternhause hinein: “Der Besuch aus Amerika kommt.” Das alarmierte nicht bloß die Eltern, sondern die ganze Nachbarschaft. Auf halbem Wege kam mir schon die Schwester Gretel entgegen und tat, was in solch einem Falle jede Schwester mit dem Bruder nach fünfzehnjähriger Abwesenheit tut. Auf beiden Seiten der Straße standen schon die Nachbarn und schüttelten die Hand zum Willkomm, aus den Fenstern streckten sie sie heraus und alle freuten sich so herzlich, als gehörte ich zu jedem einzelnen. Da ich sogleich mit dem heimatlichen Dialekte Rede und Antwort stand, war die Brücke von Herz zu Herz noch schneller geschlagen. Und das Herz selbst schlug ja höher bei dem Gedanken, daß die Heimat dem Fortgewanderten so treu geblieben war.

Das Elternhaus

Schließlich kam ich ans Elternhaus, wo Vater und Mutter und Schwestern halt ihr Bestes taten, um zu zeigen, welche Freude die Wiederkehr des Sohnes und Bruders ihnen bereitete. Es ist allerdings schwer zu sagen, ob der Bub sich nicht noch mehr freute. Gottlob fand ich Vater und Mutter trotz der Nähe der siebenzig, trotz der bitter harten Kriegsjahre und den Verlusten von zwei edelsten Söhnen, der Verwundung und langen Krankheit des dritten, trotz der uns unglaublich erscheinenden Entbehrungen der letzten Kriegsjahre und der ersten Friedensjahre noch gesund und munter wieder.

Das Häuschen war noch, wie ich es verlassen, sodaß ich sofort wieder ganz daheim war im vollsten Sinne.

Zum Essen kamen wir an diesem Abend so schnell nicht. Es war doch so viel, so unendlich viel zu erzählen. Und Vater und Mutter und Geschwister mußten doch etwas Gelegenheit haben, sich den Bub wieder einmal ordentlich anzusehen.

Der Herr Dekan schickte schon bald das Mariele her, um auszufinden, wann der Herr Pater morgen früh die heilige Messe lesen wollte. Die Nachbarn stellten sich ein, um den Franz in ihrer einfachen, aber um so herzlicheren Art willkommen zu heißen. Der kleine Georg vom Nachbar gegenüber, der noch nicht geboren war, als ich fortging, und seine Schwester, die Lenchen, an denen beiden der Vater ihres im Kriege weilenden Vaters Stelle für mehrere Jahre vertreten hatte, gehören ohnehin halb zur Familie und so dauerte es nicht lange, daß der Georg sich einstellte, aber erst, nachdem er seine Mutter gebeten hatte, ihm das Gesicht einmal recht sauber zu waschen, da er Markerts Franz besuchen gehen wolle.

So empfing und umfing mich die Heimat. Es war spät an diesem Abend, als ich das Dachstübchen aufsuchte, in dem ich vor vielen Jahren so manchen Zukunftstraum geträumt hatte, der nun schon längst verwirklicht geworden, andere auch wieder, die längst zerstört oder in nichts zerronnen sind.

Die nächsten Tage

Am nächsten Morgen las ich, nicht ohne tiefe Rührung, in der Dorfkirche die heilige Messe. Es war noch das alte traute Kirchlein von ehedem. Und eine ganze Generation war inzwischen schon darin herangewachsen. Und eine große, echt christlich gehaltene Tafel an der Wand, der Kanzel gegenüber, ist inzwischen angebracht worden mit vielen, all zu vielen Namen von den Brüdern und Bekannten, die im Kriege das Wort des Heilandes wahr gemacht: “Eine größere Liebe hat niemand als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde.”

Beim Heimweg von der Kirche nahm das Begrüßen und Händeschütteln und Auskunftgeben kein Ende: Dreiviertel unseres Dorfes ist protestantisch, etwa 50 Bewohner sind Juden, etwa 500 Katholiken. Aber Unterschiede dieser Art schienen alle verwischt zu sein, wenn man sah, wie sich das herzliche Gefühl von Heimatgenossen äußerte, einen Sohn der eigenen heimischen Erde nach so langer Abwesenheit wieder zu sehen. Da war der “Hersche Josef”, Israelit, der schon früh am Morgen auf der Straße stand und auspähte, daß er Nachbar Franz doch ja bald zu sehen bekäme. Er hatte sich allerhand Sorgen gemacht, wie er den Franz nun anreden müsse. Schon eine Woche vorher hatte er sich bei meiner Schwester erkundigt und war belehrt worden, daß er keine andere Anrede zu gebrauchen habe als die, die er von der Kinderzeit her gewohnt war. Es ließ ihm aber keine Ruhe und wandte er sich noch an seine Frau um Rat. Sie studierte mit ihm ein, was sie, die mich nicht kannte, weil sie aus einem anderen Dorfe stammt, für die nötige Anrede hielt. Als ich aber den Joseph auf der Straße sah, ließ ich ihm gar keine Zeit, ging auf ihn zu und schmeichelte ihm im Dialekt, daß er immer noch jugendlich aussehe. Dies kam ihm so unerwartet, daß es ihn völlig aus der Fassung brachte und seine ihm von seiner Frau beigebrachte Anrede völlig aus dem Gedächtnis schwand. Er wußte nur noch zu sagen: “Nu, Franz, wie geht’s?” Es war oft ganz rührend, wie zumal die Nachbarschaft immer wieder Beweise herzlichster Anteilnahme gab. Schon am zweiten Morgen brachte “Bienchen”, die Frau des gegenüberwohnenden Nachbars, ein Sträußchen blühender und duftender Märzveilchen. Sie waren etwas Besonderes, weil sie noch so spät blühten im August, aber deshalb sollte Markerts Franz sie haben.

So waren die ersten Stunden und Tage fast die härtesten, denn die Herzlichkeit und Liebe der Heimat stürmten nur so auf einem ein. Ich ging später mit dem Vater eine weite Strecke ins Feld. Da konnten wir besser erzählen. Aber ständig hieß es, stehen bleiben und alte Bekannte begrüßen. Was wurde ich da nicht alles gefragt, was wurde mir da nicht alles an Kriegsleid geklagt. Ja, die letzten zehn Jahre sind doch unendlich harte Jahre für die Heimat gewesen.

Das Bild der Heimat

Etwas hinter dem Dorf hat man von einer Anhöhe einen weiten Blick in das herrliche rheinhessische Ländchen. Soweit das Auge reicht, fruchtbare Talsenkungen, in denen jeder Fuß Acker auf das sorgfältigste angebaut ist, gleich fruchtbare Hüge, die fast überall mit Wein bepflanzt sind und einen Tropfen gedeihen lassen, dessen Güte vielleicht im Stande wäre, selbst unsere eingefleischtesten Prohibitionsfanatiker zu bekehren.

Ich sog das herrliche Landschaftsbild in vollen Zügen ein. Besonders der Blick tief hinunter bis ins Rheingau ist ganz einzig. Da lagen sie noch alle, die Dörfchen, die hinter und zwischen Hügeln hervorlugten, die alten Türme, teilweise Zwiebeltürme, noch immer da wie vor Jahren, wenn ich abends dem Feierabendglockenklange lauschte, den der Westwind über Hügel und Tal zu uns herübertrug. Dort unten lagen noch die Wiesen in der Pertel, wo ich einmal als Junge mich, auf dem Bauche kriechend, bis acht Fuß an einen Storch herangepirscht hatte. Es war eine meiner größten Enttäuschungen in der Jugend gewesen. So nahe am Ziele, einen Storch fassen und festhalten und womöglich heimbringen zu können, um ihn zu zähmen, nur acht Fuß davon, als der Fröschefänger mich in dem Augenblick bemerkte, als ich mich mit einem Sprunge auf ihn stürzen wollte. Niemals mehr war mir das Storchfangglück so hold gewesen und wie es scheint, kommt es nie wieder. Richtig, dort stand noch an einem Abhange die “Rohrbuscher Eff”, eine vielleicht tausend Jahre alte Ulme, zu der ich als Junge oft mit einer Art Ehrfurcht gegangen bin und das Gefühl hatte, als müßte sie mir erzählen von all dem, was sich in diesen Tälern in all den Jahrhunderten zugetragen, von den Schwedenkriegen bis auf Napoleon. Derlei und hundert andere Erinnerungen stiegen in mir auf, als ich neben dem Vater den Weg herunterschritt. Immer wieder mußte ich das Bild der Heimat in mir aufnehmen, das ja alle die Jahre in mir gegenwärtig geblieben war. Sie kam mir jetzt schöner vor als je zuvor. Und all das Schöne, das ich schon in der weiten Welt gesehen hatte, schien nichts zu sein im Vergleich zu der ganz eigenen Art von Schönheit der Heimat.

In der Gemeinde

Der Herr Dekan, den ich vor dreißig Jahren nur kurz als unseren “Herrn Kaplan” gekannt hatte, der nun aber mit viel Hingebung und seelsorgerischer Liebe sich der Heimatsgemeinde widmet, tat sogleich vom Anfang an alles, um mir auch als Priester den Aufenthalt in der Heimat angenehm zu machen. Kirche und Pfarrhaus standen mir sozusagen ganz zur Verfügung und das “Pfarrfräulein”, wie die Haushälterin im Volksmund seit alten Tagen heißt, ganz gleich ob auch das “Fräulein” schon mehr Tage gesehen haben mag als manche Großmutter, wetteiferte mit ihrem “Herrn” in herzlicher Gastfreundschaft.

Am Sonntag sollte und wollte ich Hochamt und Predigt halten. Ich sage, wollte, weil es mir ein Bedürfnis war, einmal nach so langer Zeit zu denjenigen, in deren Mitte ich aufgewachsen war, nicht bloß als Dorfgenosse, sondern auch als Priester zu reden. Dies um so mehr, als ich seit zwei Menschenaltern der einzige Priester bin, der aus dieser Gemeinde hervorgegangen ist.

Ich muß gestehen, ich habe nicht ohne tiefe Ergriffenheit das Hochamt begonnen und die Predigt gehalten. In diesem, für unsere kleinen Dorfverhältnisse ganz hübschen Kirchlein, hatte sich ja doch mein ebenso wie meiner Altersgenossen frühes geistliches Leben abgespielt. Hier hatte ich die tiefsten Einblicke meiner Erziehung und Jugend bekommen. Hier hatte sich ja für mich als Knaben in den früheren Jahren, bevor ich in die weite Welt kam, die ganze große Welt unseres katholischen Glaubenslebens aufgetan. Tausend Erinnerungen haften an den Altären, vor denen ich als kleiner Bub und Ministrant gekniet.

Die Predigt

So predigte ich denn über das Thema: “Dies ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube.” Ich erzählte meinen Freunden in der Heimat, wie es mir zu Mute sei, jetzt nach so langer Abwesenheit und Arbeit im Weinberge des Herrn in fremdem Lande wieder mit ihnen an der Stätte zu knien, an der sich mir zuerst die Augen zu öffnen begannen für die Schönheit und Kraft unseres Glaubens, hier, wo ich zum ersten Mal beten durfte: “Ich will hinansteigen zum Altare Gottes, zu Gott, der meine Jugend erfreut.” Wie ich in den Jahren, da ich fern von ihnen, zumal in den schweren Jahren des Weltkrieges, erfahren mußte, welch schwere Prüfungen über die Heimat ergingen, mich oft fragte: Wie wird es denn in den Zeiten der Not, in den Zeiten des Umsturzes und der Verführung mit dem Glauben in der Heimat stehen, und wie ich zu meiner Freude zumal in dieser bis zum äußersten gefüllten Kirche feststellen könne, daß sie offenbar dem alten Glauben treu geblieben seien. So führte ich denn weiter aus, daß es schließlich immer wieder unser Glaube sein muß, was die Welt überwindet und uns zum Siege über alle äußere Bedrückung und Trübsale verhilft.

Gerade dieser Umstand, daß ich als Priester zu meinen Heimatgenossen reden konnte, und wie ich bestimmt weiß, dies ihnen eine rein persönliche Freude war, einen aus ihrer eigenen Mitte als Priester unter sich zu haben, brachte uns einander viel näher als irgend ein anderes Verhältnis.

Leserbriefe

Von Thomas Thörle, Nieder-Olm
Die Veröffentlichung des Buches über Pater Markert mit dessen Beschreibungen über seinen Besuch in der Heimat ist eine tolle Sache. Es sollte jeder Saulheimer sich darüber freuen, dass der “Missionar des gedruckten Wortes” sich gerne an seine Saulheimer Gemeinde erinnert. Es wäre toll, wenn einige Lust verspürten vielleicht einmal eine USA-Reise zu starten- mit dem Ziel nach Techny unweit von Chicago zum Wirkungs- und letzlich auch zum Sterbeort dieses großen Saulheimers. Nächstmögliche Begegnung mit Pater Markert und dessen Ordensgemeinschaft den “Steyler Missionaren” gibt es im August. Aus Anlaß des 20-jährigen Bestehens des Pfarrzentrums “Haus Sankt Josef” gibt der Steyler Pater, Rüdiger Brunner am 25. und 26.August [2001] Auskunft über den Auftrag seines Missionsordens.

Von Theo Fuchs, Saulheim
Diese Geschichte ist wirklich schön. Meine Mutter war ein Nachbarskind von der Familie Markert. Ich selbst habe seine 3 in Saulheim wohnende Schwestern gut gekannt. Auch den Bruder Johann, welcher ebenfals in Amerika lebte habe ich zwei mal gesehen. Mit der Familie eines in Saulheim lebenden Neffen ( vieleicht sogar Patenkind, Franz Louis) bin ich sehr bekannt. Deshalb war es für mich sehr interesant,da auch die genannten Familiennamen für mich ein Begriff sind. Ich freue mich schon auf den nächsten Bericht.

Zu Saulheim steht der Ritter Hundt

Zur Errichtung seines Denkmals am 8. Mai 1987

Zeichnung des Ritter-Hundt-DenkmalsJetzt hört man von ihm nicht mehr nur singen und sagen – jetzt steht er auch in Lebensgröße da: als Steinfigur aller Welt sichtbar, mitten in Saulheim. Am 8. Mai 1987 ist “der Ritter Hundt” endlich zum Wahrzeichen seines Heimatdorfs geworden. Vor allem Volke hat man ihm mit einem Kran auf die Beine geholfen, dem Vielgerühmten ein Denkmal gesetzt.

Der akademische Bildhauer und Steinmetzmeister Melchior Gresser junior aus Eisingen bei Würzburg hat das Standbild aus rotem Main-Sandstein geschaffen. Die Mainzer Volksbank hat es den Bürgern von Saulheim gewidmet und dem Ortsmittelpunkt damit einen verschönernden Akzent verliehen. Auch der Saulheimer MVB-Niederlassung, 1984 errichtet, gereicht das Denkmal zur Zierde. Es erstand im Glanz von zwei Jubiläen: Die MVB wird in diesem Jahre 125, ihre Saulheimer “Tochter” 95 Jahre jung. Der Name Raiffeisenplatz, nun auch zum Ritter-Hundt-Platz geworden, verweist auf ihre Geschichte.

Es ist keine Frage, warum die Saulheimer – trotz vieler ehrenwerter Ritter, die hier hausten – ausgerechnet auf den Hundt gekommen sind. Und dann noch auf einen einzigen, legendären Vertreter seines großen Geschlechts. Irgendein Hundt muss so um 1500 alle Adelsgenossen ständig unter den Tisch getrunken haben. Die Kunde von seinem ungeheuren Weindurst soll sich in einer alten Mainzer Ballade niedergeschlagen haben, aus der sich das Lied vom Ritter Hundt entwickelt hat. Dem Refrain entnimmt man bei jeder Gelegenheit die Behauptung: “Herr Hundt von Saulheim soff den Wein/bei Sunn und auch bei Mondenschein”. Das hat den Ritter populär gemacht.

Die Bedeutung für Saulheim

Angesichts seiner besonderen Bedeutung für Saulheim ist mehr Wissen über das Geschlecht der Hundte ganz sicher willkommen. Dass sie die bedeutendsten aller aus Saulheim kommenden Edelleute waren, geht schon aus der Position ihres Wappens in der Abbildung rechts hervor. Also denn:

Die Hundte von Sowelnheim

WappenTrotz des Wau-Wau-Gebells im Ritter-Hundt-Lied soll der Name des Geschlechts nicht von unseren vierbeinigen Freunden sondern von der germanischen “Hundertschaft” herkommen. Das waren hundert wehrfähige Männer, die zum “Hundsding” (Thing) eilten, wo Recht gesprochen wurde. “Hun” oder “Hund” sollte der Würdige genannt worden sein, der dieser Körperschaft vorstand. Unsere Ritterfamilie variierte die Schreibweise ihres Namens durch die Jahrhunderte von “Hunt” über “Hund” bis “Hundt”. Wir halten uns an die letzte Version. Den Namensteil “von Saulheim” kürzen wir im Folgenden auch mal mit “v. S.” ab.

Ritter, die sich nach ihrem Wohnort “de Sowelnheim”, also “von Saulheim” nennen, gibt es schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Sie stehen als Kleinadel in den Diensten der Erzbischöfe von Mainz oder des Hochadels – wie der von Bolanden oder von Hohenfels. Um 1300 sind aus dem Geschlecht derer “von Saulheim” die sechs adligen Familien Erlenhaupt, Mohn, Hirth, Kreis (Ring), Salentin (Seltin) und Hundt geworden. Alle verbinden ihren Familiennamen mit dem Adelstitel “von Saulheim”. Alle sechs führen drei Halbmonde im Wappen, die wohl auf die Teilnahme an Kreuzzügen hinweisen sollen. Die “Türken-Halbmonde”, später auch “Heiden-Wappen” genannt, werden in der Folgezeit mal zunehmend, mal abnehmend dargestellt, und die Hundte setzten noch einen schwarzen Stern dazwischen. Ihre Monde standen rot in silbernem Feld.

Freie Reichsritterschaft

Schon diese ersten sechs Saulheimer Adelsfamilien konnten sich im 14. Jahrhundert als reichsfreie Ritter zu einer Ganerbschaft zusammenschließen, einer alten Rechtsform, nach der sie ihren Wohnort gemeinsam verwalten durften, dort Recht sprechen mussten und über steuerliche Einkünfte gemeinschaftlich verfügen konnten. Alle zwei Jahre wurde ein adliger Ganerbe zum Bürgermeister gewählt. Die Rechte waren auf die nachfolgenden Geschlechter oder neue Ganerben übertragbar.

Von Fürsten unabhängig, waren solche Kleinterritorien im Prinzip nur dem Kaiser untertan. Die Nieder-Saulheimer Ganerben gehörten wie die Udenheimer, Bechtolsheimer, Mommenheimer und Schornsheimer Ganerben zum Kreise der oberrheinischen Reichsritterschaft, der ihre Interessen vertrat und seinen Sitz in Mainz hatte. Dass der dem Range nach “erste” deutsche Kurfürst dort als kaisernaher Erzkanzler des Reiches residierte, hatte die Stadt zum Zentrum des reichsunmittelbaren Adels gemacht.

Auch aus diesem Grunde sahen die Hundte ihre Hauptstütze stets in Mainz, zumal die Pfalzgrafen und späteren Kurfürsten von der Pfalz den Ganerbschaften immer mehr Rechte abzutrotzen versuchten. Seit 1494 stand Nieder-Saulheim unter der “Schirmherrschaft” von Kurpfalz. Ab 1683 hatte “der Pfälzer” dort die Zollrechte (dem angrenzenden Mainz gegenüber) und konnte einen Obervogt zur Wahrnehmung seiner Rechte ansiedeln.

In Mainzer Diensten

Eine Urkunde aus dem Jahre 1311 berichtet als erste von einem “Hunt von Sowelnheim” und die zweite 1338 von einem Ritter “Hermann Hunt”, dem Erzbischof Heinrich von Mainz soeben das Amt Burg Gieselwerder bei Aschaffenburg übergeben hatte. 1352 hält ein Hundt v. S. mit anderen Rittern dem Mainzer Erzbischof Heinrich die Treue, obwohl Papst Clemens VI. den Grafen Gerlach von Nassau als Erzbischof eingesetzt und alle Widersacher mit dem Kirchenbann belegt hat. 1360 bekundet ein Hundt v. S., dass er von Erzbischof Gerlach zum Erbburgmann auf Schloss Gernsheim ernannt worden ist. Die hoch angesehenen Hundte übernehmen wichtige Ämter und dehnen ihren Einfluss aus. Heiraten verbinden sie mit höherem Adel wie den Sickingern und Sponheimern, den Familien von Oberstein, Schönborn und Knebel von Katzenellenbogen.

Ab 1400 treten sie stärker als leitende Gerichtsherren hervor: in Nieder-Saulheim, Waldalgesheim und Schweppenhausen bei Stromberg wie auch in Nierstein, wo ein Hermann Hundt v. S. um 1470 dem Rittergericht vorgestanden haben soll. Seit 1935 wiederholen die Niersteiner Anfang August seinen Auftritt als Festspiel, lassen sie den Ritter vier Tage lang ihr Winzerfest regieren. Leert er nach dem Eintritt in blanker Rüstung den dreiviertel Liter fassenden Pokal “in einem Zug”, so pflegt er zu sagen: “Wem niemals ausgeht solcher Wein, um den ist’s gut bestellt, und dem erscheint im Sonnenschein die ganze krumme Welt.”

Ein prächtiges Grabdenkmal mit dem Drei-Monde-Wappen in der Niersteiner Martinskirche bezeugt übrigens, dass ein Ritter der Ganerbenfamilie Erlenhaupt von Saulheim bis zu seinem Tod anno 1539 in Nierstein ansässig war.

Wo überall das Wappen prangt

1471 erschienen die Hundte im Burgmannenverzeichnis von Alzey und Oppenheim. In dieser Zeit gab es in Nieder-Saulheim eine “Huntgasse”, in der die Hundte residiert haben müssen. Man vermutet, dass es in der Nähe der Schlossgasse gewesen ist. In einem Register des Mainzer Heilig-Kreuz-Stifts, das Nieder-Saulheim durch geistliche Betreuung verbunden war, wird diese Huntgasse genannt. Im Ortsteil Ober-Saulheim gibt es immer noch eine, und eine neue Ritter-Hundt-Straße verbindet beide Ortsteile heute.

Nachdem sie vom Mainzer Kurfürsten mit Lörzweiler belehnt worden ist, zieht eine Seitenlinie der Hundte im 16. Jahrhundert dorthin ins Schloss. Im 17. Jahrhundert geht der Ort durch Heirat an die Freiherren von Hettersdorff über. An der Choraußenwand der Lörzweiler Michaelskirche und drinnen, am Triumphbogen erinnern Drei-Monde-Wappen aber immer noch daran, dass die Hundte hier lange Ortsherren gewesen sind. Ihr Wappen ist auch im Wormser Dom auf der Grabplatte eines 1729 verstorbenen Hettersdorff für immer präsent. Der Kundige entdeckt es überrascht auch in der Vorhalle der Sarlesheimer Kirche bei Neu-Bamberg oder am Erker und an den Toren eines Renaissance-Hofes in St. Martin bei Maikammer in der Pfalz.

In der Simultankirche der Ganerbschaft Bechtolsheim kniet die Familie eines Hans Hundt v. S. an einem großartigen Epithaph vor einem Relief mit der Bekehrung des heiligen Paulus. Das Drei-Monde-Wappen mit dem Stern krönt das kostbare Grabdenkmal des 1595 verstorbenen Ritters. Eine Inschrift singt ein Loblied auf ihn. Den Figuren wurden leider die Köpfe abgeschlagen. 1651 ist ein Hundt erneut Ganerbe in Bechtolsheim.

Vom Dorf in den Dom

Das nun weitverzweigte Geschlecht ist inzwischen längst aus dem ländlichen Kleinadel heraus. In der Zeit von 1550 bis 1650 ist ein Jörg Hundt v. S. Deutsch-Ordens-Komtur in Frankfurt, ein Johann Friedrich Hundt v. S. wird Fürst und Groß-Prior des Johanniter-Ordens in Deutschland. 1581 wendet sich Johann Christoph Hundt v. S., Domherr zu Mainz und Speyer, wieder ins weltliche Leben zurück. Er wird “Fürstlich-Speyerischer Ober-Amtmann”, heiratet Christina von Dienheim und nach deren Tod Anna Praxedis von Partenheim. Drei von deren Söhnen machen Vaters “Resignation”, wie das damals hieß, wieder gut und werden Domherr zu Mainz, Domdechant in Speyer und Domherr zu Würzburg.

Den letzteren beruft Erzbischof-Kurfürst Johann Philipp von Schönborn nach Mainz. Es ist Adolf Hundt v. S., der 1665 als Domprobst einen Marienaltar “in den Dom stiftet”. Er steht heute als “Saulheimer Altar” in der vorletzten Kapelle des nördlichen Seitenschiffs. Als Stifterwappen zeigt er die drei Halbmonde mit dem Stern – und in seiner rechten Seitennische die Figur des knieenden Stifters! Damit ist uns – nach der Bechtolsheimer “Enthauptung” – die wohl einzige lebensechte Abbildung eines Hundts von Saulheim erhalten geblieben. Inschriften weisen auf “Adolphus Hundt a Saulheim”, seine Würden und Ämter hin. Sein Grab kennen wir nicht.

Unbekannt …

Türbogen… ist auch die Stelle, an der ein 1632 verstorbener Generalvikar Johann Wilhelm Hundt v. S. in der Mainzer Dom-Memorie bestattet worden ist, und ob es sich bei einem stark beschädigten gotischen Grabdenkmal an der Außenwand des Dom-Westchors um die Abbildung eines Hundt v. S. handelt, ist fraglich. Die beiden Wappen über seinem Haupt zeigen die Halbmonde ohne Stern.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts gehören von den ersten Saulheimer Ganerbenfamilien nur noch die Hundte zum Ganerbenverband. Mächtigere Adelsgeschlechter haben die anderen beerbt, abgefunden oder verdrängt. Die bis zur französischen Revolution bestehende Ganerbschaft besitzen jetzt die Familien Langwerth von Simmern, von Wallbrunn, von Horneck, von Haxthausen, von Dienheim, von Vorster und Hundt von Saulheim. Die Hundte waren damals das älteste, aber nicht das letzte Saulheimer Ganerbengeschlecht. Und das ist ihr Finale:

Johann Adolf Hundt v. S. ist um 1660 als Obrist-Leutnant von Kurmainz Kommandant der Feste Königstein. Sein Enkel Johann Christian Hundt, Kurmainzer Geheimrat, lässt seinen Sohn Adolph Geistlicher werden. Dieser stirbt 1750 als Domprobst zu Fulda. Mit ihm erlischt urplötzlich das Geschlecht. Er war der letzte Hundt von Saulheim. Sein 1668 verblichener, gleichnamiger Verwandter Adolf v. S. war als Domprobst in Mainz dem höchsten Amt nahe, das ihm hätte zuteil werden können: dem des Erzbischof-Kurfürsten.

1793 wurden unter dem Revolutionsregime der Franzosen in Saulheim die Embleme der Wappen an den Adelshöfen zerschlagen. Mit der niedergelegten Bartholomäuskirche von Nieder-Saulheim verschwanden ab 1830 auch die seit 1324 darin errichteten Grabdenkmäler des Ortsadels. 1853 hat man ein auf dem Friedhof gefundenes Steinwappen mit den drei Halbmonden an einer Wand des Rathauses befestigt. Merkwürdigerweise stehen die Halbmonde darauf völlig anders als auf den uns sonst bekannten Wappen der Ritter von Saulheim, deren Tradition im Ortswappen weiterlebt (siehe Abbildung oben).

Alle Rechte bei Dr. Hans Kersting, Mainz

(Veröffentlicht zur Errichtung des Ritter-Hundt-Denkmals 1987 in Zusammenarbeit mit der Mainzer Volksbank e.G.)