Sagen und Geschichten vom Langen Stein bei Ober-Saulheim
Der Lange Stein ist der bekannteste und sagenumwobenste Menhir in Rheinhessen. Welche Bedeutung er für die Menschen seit seiner Errichtung vor etwa 7500 Jahren hatte kann auch die Wissenschaft nur vermuten. Erst im Mittelalter gibt es erste schriftliche Zeugnisse. Um 1800 wurden beispielsweise vom Türmer der Stephanskirche in Mainz H.K. Schneider Sagen gesammelt und aufgeschrieben. In Sagen spielen übernatürliche Kräfte eine Rolle und sie haben historische und geographische Bezüge. Vom Teufel und Schätzen handeln die Sagen von unserem Langen Stein, auch im Volksmund „Teufelsstein“ genannt. Schriftliche Hinweise der Kirche zu heidnischen Bräuchen gibt es bereits aus dem 11. Jahrhundert. Die Sagen zeugen vom Kampf des Christentums gegen den heidnischen Glauben.
Teufelssagen
Der Wucherer aus Wörrstadt und der Bursche aus Mainz
„Es lebte in Wörrstadt ein reicher Wucherer, der große Schätze durch Unrecht gewonnen hatte. Aber Tag und Nacht plagte den Wucherer die Furcht, sein Gold möchte ihm gestohlen werden, deswegen vergrub er es unter geheimnisvollen Sprüchen auf dem Feld, da wo jetzt der Langenstein liegt. Der Teufel sah ihm zu und dachte, wie er ihn in seinen Sünden hinwegnehmen möge. Da fiel ihm ein, der Verlust seines Schatzes würde ihn ohne Zweifel zum Selbstmord verleiten, und so geschah es auch. Der Teufel trug das Felsstück auf die Stelle, wo das Gold vergraben lag, und als der Wucherer kam und kein Mittel sah, den ungeheuren Fels wegzubringen, so erhing er sich an einem nahestehenden Baum. Seitdem sitzt manchmal nachts eine Eule oder ein Zwerg auf dem Stein und scheint den Schatz zu hüten. Einmal, um das Fest der Toten, ging gegen Mitternacht ein kecker Bursche aus Mainz an dem Stein vorbei. Da rief ihm das Männlein zu: „Willst du deine Taschen von dem Schatz füllen, der hier begraben liegt, so will ich den Stein wegheben, aber du musst mir versprechen, eine Todsünde zu begehen, doch lasse ich dir die Wahl zwischen einem Rausch, einem Ehebruch oder einem Mord. “ Der Jüngling dachte, was ist es viel um einen Rausch, und willigte ein. Der Zwerg wälzte alsbald den Stein weg, und darunter lag eine Menge Gold, und davon füllte der Jüngling seine Taschen. Der Zwerg rief ihm noch nach: Erfülle dein Versprechen, oder ich verwandle dein Gold in Kohlen.
Der Jüngling meinte, er wolle sich doch lieber sicherstellen, und in der ersten besten Schenke betrank er sich, dass ihm beinahe die Sinne vergingen. Er kam spät nach Hause und fand niemanden mehr wach als die Frau des Kaufmanns, bei welchem er wohnte, und die auf ihren Mann wartete, der noch in Geschäften auswärts war. Die Frau war jung und schön; in dem Jüngling weckte der Rausch die böse Begierde, und die Frau gab nach. Sie hörten nicht die Nachhausekunft des Mannes; der sie in einer Umarmung überraschte und seine Reitpeitsche schwang; aber der jetzt doppelt benebelte Jüngling ergriff ein Messer und stieß es dem Mann durch die Brust.“
Sagen im Zusammenhang mit dem Bau von Kirchen können historisch sowohl spätantike als auch mittelalterliche Bezüge haben.
Der Lange Stein und die Udenheimer Bergkirche
„Einige Bauern aus Udenheim machten sich mit einem großen Wagen auf den Weg zum Donnersberg, um Steine für den Neubau einer Kirche zu holen. Ehe sie dort an die Arbeit gingen, rasteten sie zuerst im Wirtshaus. In der Ecke der Gaststube saß ein seltsamer Mann, der bald an ihren Tisch herankam und nach ihren Geschäften fragte. Die schlauen Bauern erkannten gleich, dass es der Teufel in höchsteigener Person vor ihnen stand. Sie schwindelten ihn an, dass sie Steine für den Bau eines großen Wirtshauses nach Udenheim schaffen wollten. Das freute den Bösen sehr; er krempelte die Ärmel hoch und half tüchtig beim Aufladen der schweren Brocken. In seinem Eifer lud er sich noch einen mächtigeren Block auf die Schulter und lief damit neben dem Gefährt her. Je näher die Bäuerlein der Heimat kamen, umso ungemütlicher wurde ihnen bei dem Gedanken ihr Begleiter könne schon von weitem das angefangene Gotteshaus erblicken und seine Wut an ihnen auslassen. So entschlossen sie sich dem Teufel die Wahrheit zu sagen. Wie da der Betrogene rasend umher sprang! Er wurde vor Zorn grün und blau; riss den Stein, den er soweit geschleppt hatte, von der Schulter und schleuderte ihn nach Udenheim, um die Kirche zu zerschmettern. In seiner blinden Wut hatte er aber das Zielen vergessen und der Stein schlug in der Gemarkung auf und blieb senkrecht stehen.“
(Aus der Saulheimer Ortschronik von Jakob Decker)
Der niedrigste und älteste Teil der Udenheimer Bergkirche ist um das Jahr 1100 gebaut. Auch um die Bergkirche rankt sich eine Sage, die der „Drei Schwestern“. Der Lange Stein besteht aus Rhyolith und das nächste Vorkommen ist am Donnersberg.
Wahre Schatzgeschichten
Das Wörrstädter Mütterchen
„Im oberen Teil des Langen Steines befindet sich eine Vertiefung. In den unsicheren Kriegsjahren der Napoleonischen Kriege von 1803-1815, wo selbst vergrabenes Gut vor den beutegierigen Händen der oft zügellosen Soldateska nicht sicher war, kam ein Wörrstädter Mütterchen auf den Gedanken, dem Loche des Steines ihre Ersparnisse anzuvertrauen. Und richtig! Als ruhige Zeiten wiederkehrten, fand unser Mütterchen ihr Geld, an dem Millionen von Soldaten während dieser Jahre vorübergezogen waren, wieder.“
Die Tragödie vom Tod zweier Burschen
Hintergrund dieser Geschichte dürfte die Sage vom vergrabenen Schatz sein und der Glaube der Stein habe kein auffindbares Ende.
Das Mainzer Tageblatt vom 22.12.1883 schreibt:
Ein erschütternder Unglücksfall trug sich heute in der Gemarkung dem nahen Ober-Saulheim zu. An der Kaiserstraße nach Wörrstadt zu steht eine steinerne Urkunde uralter Zeiten, der sogenannte „Lange Stein“, ein Koloss von 8 Fuß Dicke und 10 Fuß Bodenhöhe. Der Besitzer des Ackers machte sich nun heute daran, mit etlichen Arbeitern den Stein umzulegen, um, wie man uns erzählt, Fundamentsteine zu gewinnen! Der Stein war auf der einen Seite losgegraben, als er unverhofft umschlug und einen zweiundzwanzigjährigen Burschen, Namens Köster, der bei dem Besitzer des Ackers, seinem Onkel, in Diensten steht, unter sich begrub. Dem Unglücklichen ward der Brustkorb zerschmettert und er war sofort Todt. Ein anderer älterer Arbeiter rettete sich durch einen Seitensprung, der Koloss griff ihn aber noch am Hinterkopf und so steht auch dieses Mannes Leben in Gefahr.“ Wie das Tageblatt weiter berichtet verstarb auch dieser Mann noch in der Nacht.
In der Pfarrchronik von Ober-Saulheim berichtet Pfarrer Werner:
„Die am 23. Dezember stattfindende Beerdigung hatte eine Menschenmenge herbeigezogen, wie sie das Ober-Saulheimer Gottesland noch nicht gesehen. Der Stein wurde von weiteren, wochenlang herbeiströmenden Massen an allen Ecken und Enden zerschlagen, um Stücke mitzubekommen. Auf Befehl des Kreisamtes Oppenheim, wurde der Stein in eine Bretterhülle gelegt, welche jetzt wie ein Sarg aussieht. Wann wird die verheißungsvolle Auferstehung des Steines erfolgen?“
1886 wurde der Stein wieder aufgerichtet und unter Denkmalschutz gestellt.
Des Teufels Suppenschüssel
Am Langen Stein gab es alten Berichten zufolge bis etwa 1860 einen zweiten Stein, der an der Oberseite schüsselartig ausgehöhlt war. Im Volksmund führte er den Namen des Teufels Suppenschüssel. Sicherlich rankten sich um diesen Stein auch Sagen in vergangene Zeiten, jedoch gibt es keine Überlieferungen.
Bearbeitet 2021
Dorfverein Saulheim e.V.
Quellen:
Peter Haupt: Sagen aus Rheinhessen, Worms-Verlag 2013
Detert Zylmann: Geheimnisse der Menhire, Worms-Verlag 2014
Jakob Decker: Ortschronik Saulheim