Rathaus

Das Saulheimer Rathaus

In der Dorfmitte von Nieder-Saulheim befindet sich der Römer umgeben von dem historischen Rathaus und den zwei neugotischen Kirchen. Vor 1830 hieß der Platz Marktplatz. Wie es zu der Namensänderung kam, ist nicht belegt. Man vermutet, dass dies im Zuge der Umgestaltung des Kirchenplatzes geschah. Der Name Römer ist eine Nachahmung des historischen Römer in Frankfurt am Main. Ähnliche Umbenennungen findet man in Nierstein, Frei-Laubersheim, Gau-Bickelheim und Fürfeld.

Für den Römer hat die Zahl „Sieben“ eine besondere Bedeutung, so grenzen sieben Straßen an den Römer: Die Neue-Pforte, Spitalgasse, Glockengasse, Ostergasse, Heileckergasse, Weedengasse, und Pfarrgasse. Beide Kirchen haben sieben Glocken: drei die katholische Kirche und vier die evangelische. Auch die alte Simultan Kirche, niedergelegt 1848, hatte sieben Glocken und sieben Altäre. Außerdem wurde Nieder-Saulheim von sieben Ganerben regiert.

Zum Rathaus :

Das Rathaus ist zweistöckig, aus kleinen Feld-und Bruchsteinen erbaut, die in der Gewann Steinkaut, in früheren Jahrhunderten „ Steinstück „ genannt, gebrochen wurden. Die Ecken sind aus Hausteinen ausgeführt. Der im Renaissancestil dem Gebäude angebaute Rundturm ermöglicht es, die oberen Räume des Rathauses im Innern vollständig zu nutzen, wie man dies bei vielen ehemaligen Adelshäusern im 16. und im 17. Jahrhundert feststellen kann.

Man erreicht diese Räume über eine schöne steinerne Wendeltreppe im Aufgang des Rundturms. An der Breitseite des Rathauses entdeckt man einen geschwungenen steinernen Torbogen mit der Jahreszahl 1571, darunter das Ortswappen: die drei zunehmenden Halbmonde.

Das beim steinernen Torbogen eingesetzte Ortswappen wurde, wie von Saulheimer Geschichtskundigen zu erfahren war, bei Aufräumungsarbeiten am alten Friedhof neben der alten Simultankirche gefunden und 1855 ungelenk am Rathaus angebracht.

Vermutlich führten die Ritter von Saulheim auf den Kreuzzügen auf ihrem Schilde die drei Halbmonde. Auch am Turm der ehemaligen Bartholomäuskirche war das „ Heidnische Wappen“, die drei Halbmonde, angebracht, um die Verbundenheit mit den Dorfbewohnern zu bekunden.

Das Erdgeschoss des Rathauses war mit rundbogigen Eingängen versehen, die den Zugang in eine offene Halle freigaben. Um Raum für einen Schulsaal und eine Lehrerwohnung zu erhalten, wurden die offenen Rundbogen 1855 zugemauert. Hierdurch wurde die bauliche Geschlossenheit und Schönheit des Rathauses beeinträchtigt. Diese alte Form kann man beispielsweise noch am Frei-Laubersheimer Rathaus sehen.

Im oberen Stock des Rathauses war ehemals der Sitzungsraum der adeligen Gerichtsherren und Ortsschöffen. Von einem Fenster des Ratssaales aus wurden durch den vereidigten Gerichtsschreiber oder durch den Ortsbüttel, der vor dem Rathaus wartenden Menge Befehle und Anordnungen des Gerichtes und gesprochene Urteile und Bestrafungen der Missetäter zur Kenntnis gebracht. (1)

Bei schlechtem Wetter, besonders im Winter, erfolgte die Verlesung in den unteren Räumen des Rathauses, der ehemals offenen Halle. (1)

Im Büro des Bürgermeisters im oberen Stock findet sich eine Besonderheit.

Überschrift des Zeitungsberichtes in der Allgemeine Zeitung Alzey vom 7. April 2005:

Dickes Mädchen mit Lorbeerkranz „ , weiter ist zu lesen:

Was für ein Weibsbild: eine Krone auf dem schwarz gelockten Haupthaar, in der Hand ein von Bändern umwundener Kranz, in der anderen trägt das dicke Mädchen einen Lorbeerkranz. Keine Frage, sie ist Germania, das Sinnbild für Kaiser, Reich und Vaterland schlechthin, die würdevoll von der Decke des Saulheimer Rathauses blickt. Doch so strahlend wie einst, als Jean Stuppert 2 die Dame in Ölfarbe 1897 schuf, ist sie schon lange nicht mehr. Unaufhaltsam blättert und bröckelt es im heutigen Arbeitszimmer des Bürgermeisters von oben herab, und wenn nichts geschieht, ist die dralle, heroische Maid bald gänzlich pulverisiert.

Aufwändig restauriert wurde das Gemälde 2010 bei der Renovierung des Rathauses.

An der Westseite des Gebäudes stand ehemals der Pranger, der an den meisten Rathäusern des Mittelalters nicht fehlen durfte. Vielerorts, so auch in unserem Dorfe, war ein Halseisen angebracht. Es diente besonders zur Bestrafung der Felddiebe, welche an dasselbe angeschlossen, das gestohlene Gut im Arme halten mussten. Bei größeren Vergehen wurden die Straffälligen auch zum Tragen der Schandgeige verurteilt. Die Schandgeige ist ein längliches, rund gehauenes Holz ähnlich eines Pferdekummets.

Aus einem Aktenstück entnehmen wir, dass Anton Blumers Witwe, vom Ortsgericht verurteilt, drei Tage am Pranger stand. Sie hatte ihre Kunden mit falschen Gewichten betrogen, diese fand man unter der Bettstelle.( Das Halseisen war noch 1860 zu sehen. )

Im Erdgeschoss unten rechts am Eingang zum Rathausturm befand sich das „malesikante“ Kämmerlein, im Volksmund auch Betzenkammer oder Bolles

(Gefängnis) genannt. Darin war ein Klotz mit einer Kette und einem Bosen (Bündel) Stroh. Bettler und sonstiges Gesindel, das sich im Dorfe herumtrieb, wurde vom Dorfbüttel festgenommen und eingesperrt.

Die Sorge für das Maß- und Gerichtswesen gehörte im Mittelalter zum Aufgaben- bereich der Gebietsherrschaft. Sie ließ die Maßeinheiten an öffentlichen Stellen anbringen, um Bürgern und Fremden die Überprüfung zu ermöglichen. (1)

Am häufigsten sind noch die Längenmaßeinheiten erhalten. Diese waren möglichst öffentlich angebracht. Am geeignetsten war das Rathaus.

 

Im Sitzungssaal der Bürgermeisterei „ ist „ – wie der Chronist (Jakob Decker um 1952) sich überzeugen konnte – „ an einem Türpfosten der inneren Türseite das Normalmaß einer Elle in Form eines Eisenstabes, unten und oben umgebogen, angebracht. Die Länge der Elle ist 0,5473 Meter.“ (1)

Nach Überprüfung im Rathaus ist keine Maßelle mehr vorhanden. Es ist anzunehmen, dass bei der Renovierung 2010 aus Unkenntnis dieses Metallteil entfernt wurde.

Im Treppenaufgang des Rundturmes hing eine kleine Glocke, die zum Guss einer vierten Glocke der Ev. Kirche 1905 eingeschmolzen wurde. Das Glöcklein trug die Inschrift „ Maria heiß ich Anno MDIV (1515) „ sie war geschmückt mit dem Bilde der schmerzhaften Mutter Gottes. Bei Schulbeginn und Schulschluss wurde das Glöcklein geläutet.“

( Der Chronist Jakob Decker kann sich noch lebhaft daran erinnern geb. 1883. ) (1)

Im Untergeschoss des Rathauses entdeckte man ein gotisches Fenster aus rotbraunem Sandstein, zwischen dem Treppenturm und dem Flur zum Ratssaal. Lange war diese Fensteröffnung zugemauert. Man stieß bei der Renovierung 2010 auf dieses Kleinod. Die Vermutung liegt nahe, dass dies 1855 bei der Schließung der offenen Halle geschehen ist.

„ Könnten Steine reden, so müssten sie uns vieles erzählen, was sich alles im Laufe der Jahrhunderte in den Räumen des Rathauses und dem freien Platz ereignet hat.

Das Rathaus sah die Schrecken des 30-jährigen Krieges. Sah die Bauern fliehen, die Dörfer in der Runde brennen, die schreckliche Pest des Jahres 1666, die im Dorfe wütete und einen großen Teil der Bevölkerung dahinraffte.

Es hörte die Sturmglocke läuten und die Menschen verzweifelt jammern. Dann vernahm das Rathaus wieder Friedensgeläut und war Zeuge der Volksbelustigung vor seinen Mauern.

Seit 170 Jahren werden die Geborenen hier registriert, beim Abschied ihre Namen gelöscht. So begegnen sich in dem alten historischen Rathaus Vergangenheit und Gegenwart, für den Bürgermeister und die Ratsherrn verpflichtende Aufgaben für das Wohl der Bewohner.

Generationen von Geschlechtern kommen und gehen, Arme und Reiche, Bedeutende und Unbedeutende.“ ( 1 )

Einer wäre zu erwähnen, der lange Jahre die Geschicke der Gemeinde geprägt und in den Mauern des Rathauses von 1804 bis 1842 gewirkt hat. Der Bürgermeister,

Prof. Johannes Baptist Neeb, Dr. der Theologie, Dr. der Philosophie, Schriftsteller und Bauer.

2010 wurde das Rathaus nach denkmalpflegerischen Vorgaben grundsaniert.

Vom Scheitel bis zur Sohle, also vom Dach bis zur Trockenlegung der Fundamente.

Im Untergeschoss befindet sich der Ratssaal verbunden mit einer beweglichen Trennwand zum kleinen Ratssaal. Der Innenputz und die Decke wurden erneuert.

Im Obergeschoss sind drei Räume: das Büro des Bürgermeisters, mit dem oben erwähnten Deckengemälde, das Sekretariat und das Büro der Beigeordneten.

Die Türen der einzelnen Räume sind soweit wie möglich erhalten geblieben, man kann noch die alten Eisenbeschläge bewundern, die aus der Gründerzeit stammen.

(1) Original aus der Chronik von Jakob Decker

September 2018 Günther Kaul